"Wenn sie nicht schlafen, sind sie online!"

"Wenn sie nicht schlafen, sind sie online!"

Unterhaltungsmedien wie Smartphone, Fernseher und Computer sind aus dem Alltag der Kinder nicht mehr wegzudenken. Zweijährige werden vor den Fernseher gesetzt, Vierjährige spielen am Tablet und Zehnjährige werden ausgegrenzt, wenn sie nicht Mitglied einer Whatsapp-Gruppe sind. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt die Ursachen des steigenden Medien-Konsums der Kinder, was Eltern tun können und welche Folgen ein unregulierter Medien-Umgang haben kann.

Warum werden Kinder immer abhängiger von digitalen Medien?
Dr. Martina Leibovici-Mühlberger: Laut, bunt und anziehend – Medien sind unwiderstehlich für unseren Organismus. Kinder werden (immer früher) immer abhängiger davon. Sie werden ständig von der Erwachsenenwelt beeinflusst – unsere Gesellschaft fordert den Umgang mit Medien. Und genau hier muss man beginnen: Die Gemeinschaft muss den bewussten Umgang mit Medien fördern. Denn diese sind lebensnotwendige, erleichternde Instrumente der Alltags- und Berufsgestaltung. Somit ist es nicht richtig, Kinder völlig von Medien fernzuhalten.

Was können Eltern tun?
Leibovici-Mühlberger: Kinder brauchen in allen Bereichen Vorbilder. Nur wenn Kinder in einer vernünftigen Umgangskultur aufwachsen, lernen sie, mit Medien reguliert umzugehen. Dabei muss ich gemeinsam mit meinem Kind lernen und mich kritisch mit dem Bildschirm-Medium auseinandersetzen. Das beginnt bei: Was ist Social Media? Wie funktioniert das Internet? Welche Gefahren gibt es? Ich als Erwachsener muss selbst einen bewussten Umgang mit Bildschirmmedien pflegen, Regeln aufstellen und diese einhalten.

Welche Regeln könnten das sein?
Leibovici-Mühlberger: Zum einen sollte es fixe Zeiten geben, wo Medien keinen Zutritt haben. Beispielsweise gemeinsame Essens-Zeiten. Und keinen Fernseher im Kinderzimmer! Auch ein handy-freier Tag pro Monat ist interessant: Familien leben dann auf einmal ganz anders. Sie kommunizieren miteinander oder verbringen die Zeit beispielsweise mit Brettspielen.

Wie kann die Gesellschaft für einen bewussteren Umgang mit Medien sorgen?
Leibovici-Mühlberger: Vor allem Bildungsinstitutionen müssen schon früh mit der Medien-Erziehung beginnen. In amerikanischen Kindergärten werden Klein-Kinder unter zwei Jahren bereits vor den Fernseher gesetzt. Das ist ein erschreckendes Beispiel, denn unter zwei Jahren hat ein Kind nichts vorm Bildschirm verloren! Danach kann ein Kind langsam an den Bildschirm gewöhnt werden, mit maximal zwei Stunden pro Tag. Alles, was darüber hinausgeht, hat Auswirkungen auf die körperliche und psychische Entwicklung der Kleinen.

Welche gesundheitlichen Schäden können auftreten?
Leibovici-Mühlberger: Kinder, die schon früh (und zu häufig) digitalen Medien ausgesetzt waren, weisen zum Teil Autismus-assoziierte Syndrome auf. Das können zum Beispiel Auffälligkeiten im Gruppen-und Sozialverhalten sein. Aber auch Aggressivität, Konzentrationsstörungen und Übergewicht können eine Folge von übermäßigem Medienkonsum sein.

Welches Medium ist am meisten betroffen?
Leibovici-Mühlberger: Hierbei kommt es darauf an, welches Medium am griffbereitesten ist. Durch seine Multifunktionalität ist dies meist das Handy. Bei Burschen spielen auch Spielkonsolen eine große Rolle, bei Mädchen eher Social Media. Hinzu kommt der große Gruppenzwang – wer nicht in einer Chatgruppe ist, wird ausgegrenzt und im schlimmsten Fall gemobbt.

Dr. Martina Leibovici-Mühlberger, 57, ist Praktische Ärztin, Gynäkologin, Ärztin für Psychosomatik und Psychotherapeutin.