"Wir retten Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können!"

"Wir retten Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können!"

Die einen werfen Lebensmittel weg – die anderen suchen nach Essbaren aus dem Container. In Österreichs Haushalten werden jährlich bis zu 157.000 Tonnen an angebrochenen und original verpackten Lebensmitteln weggeworfen (die bei rechtzeitigem Konsum noch genießbar gewesen wären). Nur wenige sind sich der Kosten und des Aufwands der Produktion, Transport, Kühlung und Verarbeitung von Lebensmittel bewusst. Im Jahr 2012 startete die Lebensmittelretten-Bewegung, die sich intensiv gegen Lebensmittelverschwendung und für gerechtere Verteilung einsetzen. Mittlerweile gibt es foodsharing auch in Wien. Hier haben wir an einem heißen Nachmittag kostenlos Gemüse, erfrischendes Joghurt-Getränk und Kipferl bekommen. Mit-Gründer Raphael Fellmer im Interview über die Idee zu foodsharing.

Ziel von foodsharing ist...
Raphael Fellmer: Die Wertschätzung für Lebensmittel zu steigern und Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Wir wollen allen eine Plattform gegen Verschwendung bieten, auf der überschüssige Lebensmittel kostenlos angeboten bzw. vor der Vernichtung bewahrt werden können. Foodsharing ermöglicht Menschen, sich selbständig, lokal oder global gegen die Verschwendung stark zu machen. Es bringt Gleichgesinnte zusammen, hilft Menschen in Not und schafft soziale Kontakte quer durch unsere Gesellschaft.


Wie alles begann...
Ich habe damals im Geldstreik gelebt und über acht Monate containert. Damit wollte ich Bewusstsein für die Lebensmittelverschwendung in Deutschland schaffen (rund 50%!). Auch wenn es die Lebensmittel kostenlos gibt, war das eigentliche Ziel: Ich wollte allen Menschen auf eine einfache Art und Weise ermöglichen, sich gegen die Ressourcenverschwendung einzusetzen. Dann habe ich Bioläden kontaktiert und gefragt, ob man nicht eine Win-Win Situation für alle Beteiligten schaffen könnte: Die unverkäuflichen (aber noch genießbaren Lebensmittel) sollten von den Lebensmittelrettern legal vor dem Wurf in die Tonne bewahrt werden.

Die Bewegung wuchs...
Der Beginn der Lebensmittel-Retten-Bewegung war im März 2012 in Berlin. Rund neun Monate später ging die Lebensmittel-Verschenk-Plattform foodsharing.de online (gegründet von Valentin Thurn). Am 12.12.2014 fusionierten wir die Lebensmittelretten.de-Plattform mit foodsharing.de (unter dem Namen foodsharing), wo nun alle Funktionen auf einer Plattform vereint wurden.

Wie kann man foodsharing nutzen?
Über die Plattform können Nutzer digitale Essenskörbe erstellen und damit zu verschenkende Lebensmittel anbieten. Auf der Übersichtskarte der Plattform kann man Essenskörbe einsehen, bei Interesse anfragen und sich so zur Übergabe verabreden. Die meisten Lebensmittel werden allerdings von den ehrenamtlichen Foodsavern gerettet die überschüssige Lebensmittel bei Kooperationsbetrieben vor dem Wurf in die Tonne bewahren. Die geretteten Lebensmittel werden weiterverschenkt und von den RetterInnen selbst gegessen.

Raphael Fellmer ist Mit-Gründer von foodsharing, Buchautor und setzt sich für eine bessere Welt ein


Für Menschen ohne Internet-Zugang...
...Gibt es über 300 offizielle Fair-Teiler. Das sind öffentlich zugängliche Kühlschränke und Regale, in denen überschüssige (aber noch genießbare Lebensmittel) zur Verfügung gestellt und für den eigenen Bedarf entnommen werden können. Bei foodsharing sind alle Menschen willkommen, ungeachtet der Herkunft oder des sozialen Status. Es ist uns wichtig, dass Menschen sich aus freien Stücken, bedingungslos und sich aus Überzeugung gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen. Egal, ob sie die geretteten Lebensmittel selbst verzehren, an Nachbarn, Obdachlosenheime, WG-Mitglieder, Menschen auf der Straße, Flüchtlingsunterkünfte, Projekte, online oder anderweitig verteilen.

Das große Problem der Lebensmittel-Industrie...
...ist zum einen die Anspruchshaltung von uns Verbrauchern. Wir sind die ständige Verfügbarkeit aller Waren gewohnt. Einer der Hauptgründe ist aber sicherlich, dass nicht mehr einwandfreie Ware (sogenannte "ugly fruits"/"Misfits", also nicht der Norm entsprechende Obst- und Gemüse-Sorten) gar nicht erst in den Handel gelangen. Deshalb greifen wir schon seit Jahrzehnten zu den in Supermärkten optisch einwandfreien Produkten.

So wirkt foodsharing dem entgegen...
Zum Einen bekommen wir von Bäckereien, Supermärkten, Gastronomiebetrieben und anderen lebensmittelverarbeitenden Unternehmen noch genießbare, aber nicht mehr verkäufliche Lebensmittel. Betriebsverantwortliche und Botschafter koordinieren dabei die Abläufe. Mittlerweile gibt es über 18.000 sogenannte Foodsaver, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit über 2.500 Lebensmittelbetrieben Kooperationen pflegen und sich gemeinsam gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzen. So pflegen wir auch eine enge Kooperation mit den Tafeln. Wenn die Tafel bei einem Betrieb nicht mehr abholen kann, springt foodsharing ein. Außerdem überlässt foodsharing den Tafeln den Vortritt bei Lebensmittelabholungen in Betrieben.

Raphael Fellmer ist Buchautor von "Glücklich ohne Geld!", hält Vorträge und bringt sich durch Medienauftritte für eine bessere Welt ein.