Der Advent kam heuer zu früh

Der Advent kam heuer zu früh

Sind Sie schon in Weihnachtsstimmung?

Vielleicht wäre ich noch lieber nach New York geflogen oder nach London, aber Graz ist auch nicht schlecht. Hauptsache, ein Tapetenwechsel. Eine Mini-Flucht am Ende eines Jahres, von dem ich immer noch nicht sagen kann, ob es ein gutes war oder nicht.

Ich hatte noch keine Zeit, Bilanz zu ziehen. Mir ging alles zu schnell. Manchmal fühle ich mich wie auf einem Karussell, das sich immer stürmischer dreht, je lauter ich flehe: „Stopp! Aussteigen, bitte! Ich habe noch kein einziges Kekserl gebacken! Und noch kein Geschenk besorgt!“ Wir haben zwar endlich einen kleinen Adventkranz, aber unser Adventskalender im Wohnzimmer, der in Form von kleinen Stoffsäckchen an einer Schnur quer über dem großen Spiegel hängt, ist immer noch nicht fertig befüllt. Der Inhalt reicht gerade noch für die nächsten drei Tage.

Also Graz. Drei Tage nur der Beste und ich, ohne Alltagsverpflichtungen. Wir genießen es, Zeit zu vertrödeln. Einmal lockt uns ein Café mit italienischem Espresso, dann wieder ein charmanter Shop mit nachhaltigem Design und wir merken gar nicht, dass es schneeregnet, als wir am Christkindlmarkt am Hauptplatz die weltbesten steirischen Hot Dogs essen und dazu Glühwein und Bier trinken. Der Beste schreckt nicht einmal vor Elfenpunsch mit Glitzerstaub zurück. Wir sind nass und glücklich.

Suspekt: Das Kind antwortet sofort

Am nächsten Morgen dann der Schock: in meiner Handtasche befinden sich zwei Airpod-Cases. Ich habe irrtümlich auch das der Tochter (16) eingepackt und ein doppelt schlechtes Gewissen, weil ich hier in Graz meine Airpods gar nicht brauche und weiß, dass unserem Mädchen ohne die Mini-Kopfhörer ein Körperteil fehlt (es hat die Stöpsel ständig im Ohr). Also schicke ich dem Kind eine zerknirschte WhatsApp-Nachricht, dass es die Dinger bitte nicht umsonst suchen soll und dass es mir echt leid tut und...

Keine zwei Minuten später kommt die Rückmeldung: „alles gut kein problem.“ Im ersten Moment bin ich erleichtert. Im zweiten umso besorgter: Warum antwortet das Kind sofort (tut es sonst nie!)? Und noch dazu ohne Vorwurf? Das kann doch nur bedeuten, dass es selbst ein schlechtes Gewissen hat. Badewanne übergelaufen, kaputte Gläser, Polizeieinsatz wegen Lärmbelästigung oder das Haus in Flammen, mindestens.

Als wir heimkommen, ist alles pipifein. Die Teenagertochter hat – es ist später Nachmittag – die Pyjamahose ihres Vaters an, sitzt im Bett und lernt. Auch sie hat die (eltern)freien Tage sichtlich genossen. Entspannt sitzen wir am nächsten Tag bei meinem Bruder und der weltbesten Schwägerin, naschen Kekse und bewundern die schöne Weihnachts-Deko (die weltbeste Schwägerin macht den Adventkranz immer selbst. Und die Kekse natürlich auch).

Sogar Oma und Opa sind gekommen. Mein Bruder holt die Gitarre, die Kids flüchten und draußen wird’s scho glei dumpa. Ich glaube, jetzt bin ich bereit für Weihnachten.

Kristin Pelzl-Scheruga ist Chefredakteurin von Lust aufs LEBEN.