Meine Zeit zwischen den Jahren
Jetzt muss ich mich erst Mal erholen
Wir treffen die Freunde im Barflys und verabschieden das alte Jahr mit Negroni, Beeren-Daiquiry und etwas Gin-Tonic-Ähnlichem, das uns der Barkeeper empfiehlt: die besten Partys finden immer vor Silvester statt. Danach schlendern wir über die Neubaugasse zum Lieblings-Inder, reißen Insider-Schmähs (nicht immer einwandfrei politisch korrekt) und stoßen mit Mango-Vodka auf 2023 an. Am nächsten Morgen bin ich sehr durstig und weiß nicht, ob vom Hochprozentigen oder vom scharfen Essen.
Dabei wollte ich die Zeit zwischen den Jahren eigentlich ruhiger angehen. Doch schon die Treffen mit der Verwandtschaft vereitelten diesen Plan. In der einen Familie trinkt man Weine aus dem Carnuntum wie Wasser, in der anderen Wieselburger Bier. Ja, wir hatten es lustig, obwohl in diesem Jahr nicht immer alles lustig war. Aber wenn meine Familie eines wirklich gut kann, dann ist dies Optimismus. Und feinen Humor. Schon als ich Onkel K. begrüße, Vater zweier wunderbarer erwachsener Töchter und mittlerweile auch rühriger Opa, der sich ein XXL-Shirt mit dem Polit-Slogan „Women Life Freedom“ über den Pullover gezogen hat, bin ich einmal mehr froh, in diese Familie hineingeboren worden zu sein.
Scheiterhaufen und Party-Outfits
Nach den Verwandtschafts-Festen versuchen der Beste und ich, ein bisschen durchzuschnaufen. Wir spazieren in Kaiserlaune durch den Schlosspark in Schönbrunn, bummeln durch die Wiener City, vorhersehbar wie Touristen, und stellen uns in der Schlange vorm Café Diglas an, um einen Platz zu ergattern. Der Scheiterhaufen mit Vanillesauce entschädigt uns für die Wartezeit und sprengt das Kalorienkonto, was uns an Tagen wie diesen aber egal ist.
Das Teenagermädchen ist noch schwach von einer schweren Grippe, hat viele Schulaufgaben nachzuholen und noch kein passendes Outfit für Silvester: „Vielleicht sollte ich lieber jetzt shoppen gehen und erst dann lernen, wenn es mir wieder besser geht.“ Gutes Zeichen, es geht aufwärts!
Das Problem an Urlaubstagen ist, dass sie viel kürzer sind als normale Arbeitstage. Ich frühstücke ausgiebig, lese ein bisschen und schon ist es wieder dunkel. Nicht einmal den Netflix-Newcomer „Glass Onion: A Night Out Mystery“ mit Daniel Craig haben wir geschafft, trotz Beatles-Titel, das will was heißen.
Immerhin schaffe ich es, beim Fleischer unseres Vertrauens Roastbeef für Silvester zu besorgen und zur Mundhygiene. Das Gefühl danach ist wie Sex in einem Bett, das gerade frisch überzogen wurde, nur teurer: ich habe 130 Euro in meine Zahn-Gesundheit investiert. Wenn das neue Jahr so weiter geht, wie das alte geendet hat, sind Anlagen in die Gesundheit sicher keine schlechte Idee. Jetzt brauche ich erst Mal Urlaub vom Urlaub: Weihnachten wird von Jahr zu Jahr anstrengender.
Kristin Pelzl-Scheruga ist Chefredakteurin von Lust aufs LEBEN