Aggression in der Beziehung: Was jetzt hilft
Wir haben mit Imago-Paartherapeutin Eveline Brehm darüber gesprochen, was die Krise jetzt mit vielen Paarbeziehungen macht.
Lust aufs LEBEN:
Die Ausgangsbeschränkungen haben Familien und Paarbeziehungen plötzlich stark verändert. Experten fürchten ein verstärktes Auftreten von Aggressionen und häuslicher Gewalt. Welche Faktoren können nun vermehrt zu Aggression in der Partnerschaft führen?
Eveline Brehm:
Wir erleben jetzt einen Ausnahmezustand, der bei vielen Paaren den ersten Effekt brachte, zusammenzuhalten und gemeinsam die Zeit mit der Familie zu genießen. Wir gehen davon aus, dass das nach einiger Zeit in vielen Familien umschlagen wird, da man plötzlich 24 Stunden beisammen ist. Dass auch die Kinder rund um die Uhr im Haus sind und Bedürfnisse haben, verschärft die Situation. So viel reden und spielen und basteln ist kaum möglich, ohne dass einem die Decke auf den Kopf fällt!

Paartherapeutin Eveline Brehm
Lust aufs LEBEN:
Dazu kommt, dass es in vielen Beziehungen bereits vor der Krise Spannungen und Konflikte gab ...
Eveline Brehm:
Alle unverarbeiteten Konfliktpunkte können jetzt sehr schnell in den Fokus rücken: Bewährte Exits oder Regulationsmuster wie sich aus dem Weg gehen, Sport betreiben, eigenen Hobbys nachgehen oder vielleicht zum Geliebten oder zur Geliebten zu fahren, funktionieren jetzt nicht mehr. Wenn man schon zuvor nicht gut miteinander reden konnte, könnten destruktive Muster, die man meist in der Kindheit erlernt hat, wie zum Beispiel Schreien oder Schweigen jetzt noch verstärkt werden. Kurzum: Alles, was bisher unter den Teppich gekehrt worden ist, kommt jetzt ans Tageslicht. Wenn durch die Krise auch noch Existenzängste und Geldprobleme dazu kommen, schaltet man in den Überlebensmodus und hat in der Regel keine Lust mehr, über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Dazu kommt, dass eine Trennung auf normalem Weg in der jetzigen Situation eigentlich kaum möglich ist. In unserer Praxis sind viele Paare in Therapie, bei denen eine Trennung ansteht. Da ist alles jetzt auf Null gestellt.
Lust aufs LEBEN:
Was können Paare jetzt tun?
Eveline Brehm:
In einer Krisensituation raten wir dazu, sich darauf zurückzubesinnen, was beide Partner als Paar zusammengebracht hat. Jetzt hilft es, sich bewusst wieder hervorzuholen, was man damals am anderen so geliebt hat und warum man sich füreinander entschieden hat. Gerade jetzt, wo vielleicht das Negative im Vordergrund steht, ist es wichtig, den Fokus auf alles zu verlagern, was schön und gut war und ist.
Lust aufs LEBEN:
Wie lässt sich jetzt besser kommunizieren?
Eveline Brehm:
Entscheidend ist, dass jetzt jeder Partner Verantwortung für die Beziehung übernimmt. Man kann sich jeden Tag neben der Bewältigung der Alltagskrise zusammensetzen und einander zuhören. Geben Sie einander jeweils 15 Minuten Redezeit, ohne dass der andere unterbricht. Wichtig ist jetzt, nicht nur über Fakten zu reden, sondern auch über die Gefühle, die einem in dieser Situation beschäftigen.
Lust aufs LEBEN:
Mit Offenheit und Mitgefühl also lässt sich die Brücke zum anderen schlagen und die Verbundenheit wieder herstellen.
Eveline Brehm:
Zuhören ist zentral, um Empathie für den anderen zu entwickeln und einander zu verstehen. Dann lässt sich die Aufmerksamkeit wieder auf das gemeinsame Wagnis der Beziehung richten, nicht auf das Versagen.
Die Imago Paarambulanz bietet während der Krise kostenlose Beratung für Paare an. Jedes Paar kann eine Onlinesitzung (60 Minuten) und eine Folgesitzung (90 Minuten) in Anspruch nehmen.