„Gift aus dem Denken ausscheiden“
Dr. Rüdiger Dahlke
Erst wenn wir auf seelischer Ebene Ballast abwerfen, können wir Verschlackungen auf körperlicher Ebene dauerhaft lösen, meint Ganzheitsmediziner Dr. Ruediger Dahlke. Um uns von toxischen Emotionen wie Wut oder Angst zu reinigen, empfiehlt er Meditation. Der Talk.
Detox ist trendy. War das immer schon so?
Ruediger Dahlke: Nein. Vor gut vierzig Jahren habe ich in meinem Medizinstudium noch nichts darüber gehört, geschweige denn gelernt. Heute ist der Begriff längst zum Modewort avanciert.
War unsere Welt denn damals weniger giftig?
Dahlke: Was materielle Toxine angeht, wohl eher nicht. Wir wussten damals nur viel weniger über die Gefahren von Holzschutzmitteln, die Schattenseiten von Pesti-, Herbi- und Fungiziden, das Gefahrenpotenzial von Autoabgasen und Feinstaub. Hier hat sich einiges durch strengere Vorschriften und Kontrollen gebessert. Viele der schlimmsten Gifte sind verboten, Katalysatoren mindern die Autoabgasemission, nach dem Verbot der FCKW erholt sich die Ozonschicht in weiten Teilen, Industrieabwässer vergiften nicht mehr ganze Flüsse, und das Bewusstsein für die Vermüllung unseres Planeten durch Plastik wächst zusehends. Trotzdem ist noch viel zu tun, und unser „ökologischer Fußabdruck“, der Auskunft darüber gibt, wie viel Land- und Wasserfläche eine Person zur Deckung ihres Bedarfs an Ressourcen benötigt, ist immer noch viel zu groß.
Sie behaupten, auch unser Geist, unsere Seele sei vergiftet ...
Dahlke: So viel sich auch im Materiellen verbessert haben mag, verschlimmert es sich im Immateriellen – und dies ist noch bedrohlicher. Die Kommunikation und der zwischenmenschliche Bezug wurden immer toxischer und haben zuweilen beunruhigende Stufen erreicht. Will man jemanden in der Hierarchie einer Firma überholen, müsste man sich eigentlich entsprechend anstrengen und ihn durch Leistung überflügeln. Stattdessen wird er nicht selten durch Beziehungsgeflechte oder intrigante Taktiken übervorteilt.
Sie sprechen von Mobbing?
Dahlke: Ganz genau. Die immaterielle Vergiftung der Atmosphäre zwischen den Menschen ist noch schlimmer als die materielle. Und zumeist liegt der materiellen Umweltverseuchung bereits eine geistige zugrunde.
Wie wirkt sich das auf den Menschen aus?
Dahlke: Die Phänomene der Verschlackung und Vergiftung führen recht schnell zu psychosomatischen, seelischen und sozialen Fragen. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) etwa ging bei der Gesundheitspflege immer schon sehr konsequent vor: Ein Arzt galt dort dann als erfolgreich, wenn der Patient erst gar nicht krank wurde. Die TCM stellte folgerichtig in der Hierarchie der angewandten Maßnahmen das Gesundheitsverhalten der Patienten über konkrete Eingriffe des Arztes. Richtige, typgerechte Ernährung rangierte über der inneren Medizin mit ihren Kräuterpillen. Schon Hippokrates von Kos sagte ja: „Eure Nahrung sei eure Medizin, eure Medizin sei eure Nahrung.“
Unser Bewusstsein für gesunde Ernährung ist aber gerade in den letzten Jahren sehr gestiegen. Ein richtiger Ansatz, oder?
Dahlke: Ja, im Ansatz erkennen inzwischen auch bei uns immer mehr Gesundheitstrainer und sogar -politiker, dass Verhalten und Motivation entscheidender sind als konkrete Reparaturschritte. Die Praxis zeigt jedoch, wie häufig Appelle ans Gesundheitsverhalten wirkungslos verhallen. Die Menschen verstehen sie wohl, allein sie folgen ihnen oft nicht.
Warum ist das so?
Dahlke: Der Grund liegt in den individuellen Entwicklungs- und Lebensgeschichten mit ihren Verstrickungen und Belastungen. Die Spuren gegenwärtigen Fehlverhaltens lassen sich weit zurückverfolgen. Hier liegt bei vielen ein wesentlicher Grund für notwendige, das heißt die Not wendende Psychotherapien. Nur wer seine eigene Vergangenheit aufräumt und mit ihr wirklich fertigwird, kann die alten Muster hinter sich lassen. Das Loslassen der Vergangenheit wiederum ist die Voraussetzung dafür, wirklich frei für die Gegenwart zu werden. So ist es auch wenig erstaunlich, dass in der alten chinesischen Tradition der richtige Umgang mit Emotionen und Gefühlen noch über dem Verhalten eingeordnet wurde.
Weil Gefühle unser Verhalten bestimmen?
Dahlke: Ja, die Psychotherapie steht hierarchisch folgerichtig auch über der körperorientierten Medizin, wie es im Wort „Psychosomatik“ noch zum Ausdruck kommt (griechisch psyché = Seele, sõma = Körper). Die Seelenwelt bestimmt sehr weitgehend unser Verhalten, nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht. So fiel die Sorge für die Seele im alten China ebenfalls in die Verantwortung des Arztes. Viele westliche Medizinlehrer erkannten das schon relativ früh in ähnlicher Weise und wurden zu Lebensreformern, die auf die Eigenverantwortung des Menschen setzten, wie etwa Sebastian Kneipp (1821–1897) oder Max Bircher-Benner (1867–1939). Sie alle versuchten, an die Eigenverantwortung des Einzelnen zu appellieren.
Für das Seelenwohl war bei uns lange die Kirche alleinverantwortlich ...
Dahlke: Ja, so wie der traditionelle chinesische Arzt die entsprechenden Lebensgrundsätze – zum Beispiel das Gebot der Mäßigkeit – aus den heiligen Schriften seines Kulturraums ableiten konnte, fanden die Priester ihre Leitlinien in der Bibel, wo es etwa heißt, wir sollten unserem Herzen Luft und aus ihm keine Mördergrube machen. Das soll ja wohl heißen, die Emotionen herauszulassen, und befindet sich somit in weitgehender Übereinstimmung mit den Erkenntnissen moderner Psychosomatik, die inzwischen sogar mit wissenschaftlichen Studien untermauert sind. Über dem Seelenbereich rangierte in den alten Zeiten der Medizin nur noch das Bewusstsein und damit zugleich die Ebene der Meditation. Darin ähnelten sich fast alle traditionellen Hochkulturen. In tiefer Versenkung, im Gebet, in der Meditation sahen die Menschen die Chance, Verbindung zum Göttlichen herzustellen.
Dabei ist es natürlich unwesentlich, wie die Einheit benannt wird, ob „Nirwana“ oder „Paradies“.
Meditieren oder Beten gegen Gedankengift?
Dahlke: Im Gebet oder in der Meditation eins mit der Schöpfung zu werden, ist bis heute das Ziel spirituell suchender Menschen und zugleich der wirksamste Schritt des Loslassens und die tiefste Form von geistig-seelischer Entgiftung. Damit kann schlagartig aller Ballast losgelassen werden. Und aus diesem Bewusstseinszustand würden sich alle Leiden an Verschlackung relativieren und auflösen.
Das heißt: reine Gedanken, reiner Körper, reine Umwelt?
Dahlke: Ja, die Pyramide unserer Gesundheit ließe sich am einfachsten „von oben“ in Ordnung bringen. Wie der Volksmund weiß, fegt sich jede Treppe am einfachsten von oben nach unten. Offensichtlich haben sich im modernen Leben die Akzente in eine andere Richtung verschoben. Die Spiritualität ist in weite Ferne gerückt, und materielle Bedürfnisse wurden immer bestimmender. Geld regiert die Welt mehr denn je, dabei wäre es als Repräsentant der Materie in der Gesundheitspyramide ganz unten angesiedelt.
Gesundheit beginnt also in der Seele, im Geist?
Dahlke: Die Spitze der Gesundheitspyramide ist auch die wichtigste und höchste Ebene aller Detox-Maßnahmen: des Entgiftens, Entschlackens und Loslassens. Wer auf dieser hohen Ebene das Gift aus seinem Denken ausscheiden und die seinen Geist behindernden Schlacken lösen kann, ist bereit für das große Loslassen, das alle anderen Probleme
auf den untergeordneten Ebenen automatisch mit(er)lösen kann. Dass die Meditation ihren Platz so weit oben in der Pyramide findet, mag moderne Menschen erstaunen. Aber da die Meditation vor allem auf das Bewusstsein zielt, rangiert sie seit alten Zeiten ganz selbstverständlich an der Spitze.
Es gibt eine Fülle an Meditationstechniken. Welche ist die richtige?
Dahlke: Sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie wollen zur Mitte führen und zum Loslassen. Wer in seiner Mitte angekommen ist, muss zuvor von allem Äußeren losgelassen haben, im Augenblick des Hier und Jetzt angekommen sein und allen Widerstand aufgegeben haben. Dieses Aufgeben des Widerstands ist ein ganz entscheidender Punkt. Wenn das gelingt, verschwindet auch wie von selbst das Gift aus den Gedanken, da eine Aussöhnung mit allen Wesen und Dingen eintritt. Man erkennt sich in allem wieder.
Das klingt ein wenig realitätsfremd ...
Dahlke: In unserer materialistischen Welt mögen solche Ausführungen reichlich abgehoben klingen. Und natürlich lassen sich auf allen Ebenen Detox-Maßnahmen vornehmen. Aber die Erkenntnis, dass „der Fisch am Kopf zu stinken beginnt“, wie der Volksmund weiß, sollten wir immer im Auge behalten – besonders in einer Zeit, die dazu neigt, untere, materiellere Ebenen überzubetonen und obere, spirituelle zu vernachlässigen.
Dr. Ruediger Dahlke arbeitet seit 40 Jahren als Arzt, Psychotherapeut, Autor und Seminarleiter in Gamlitz (Südsteiermark). Infos:
www.dahlke.at,
www.tamanga.at,
www.lebenswandelschule.com
Buchtipp:
Ruediger Dahlke: Körper, Geist, Seele, Detox. Wie wir uns rundum von Ballast befreien und neue Energie schöpfen. Arkana, um € 18,–.

Ruediger Dahlke: Körper, Geist, Seele, Detox. Wie wir uns rundum von Ballast befreien und neue Energie schöpfen. Arkana, um € 18,–.