Was wir in Gesichtern lesen können

Was wir in Gesichtern lesen können

"Facereader" Eric Standop erklärt, was wir an der Mimik von Menschen erkennen und wie wir das Gesichterlesen trainieren können

Gesichtlesen ist eine elementare Eigenschaft für uns Menschen, denn sie sichert seit jeher unser Überleben. Seit Anbeginn der Menschheit war im Überlebenskampf entscheidend, mögliche Gefahrensituationen einschätzen und diese womöglich sogar vorausahnen zu können.

"Die menschliche Gattung des Homo sapiens gibt es bereits seit 300000 Jahren, während Sprache im heutigen Sinn wohl allerfrühestens seit 125000 Jahren existiert", sagt Facereader Eric Standop, Autor des neuen Buches "Ich lese dich, Geheimnisse eines Facereaders – Was das Gesicht über uns und andere Menschen verrät" (GU Verlag, € 20,00). Es ist daher in uns angelegt, über Mimik zu kommunizieren. Unser Gehirn hat aus diesem Grund ein neuronales System geschaffen, das es uns ermöglicht, Mimik und Körpersprache unseres Gegenübers zu interpretieren. Die sogenannten Spiegelneuronen, die 1996 entdeckt wurden: Das sind bestimmte Nervenzellen, die sich im Hypothalamus unseres Gehirns befinden und dort dafür sorgen, dass wir in der Lage sind, die Emotionen anderer Menschen wahrnehmen und spiegeln zu können.

Spiegelneuronen übertragen Gefühle

Spiegelneuronen spielten eine immense Rolle bei der menschlichen Evolution und damit auch bei der Entwicklung unserer Kultur. "Für unser Zusammenleben und unser tägliches Miteinander sind Spiegelneuronen noch heute von zentraler Bedeutung. Sie funktionieren dabei unbewusst, das heißt, wir müssen nicht darüber nachdenken, sondern sie stoßen einen natürlich in uns ablaufenden Prozess an", sagt Standop.
Sobald wir die Körpersprache beziehungsweise die Gesichtsregungen eines Gegenübers sehen, werden die Spiegelneuronen in unserem Gehirn aktiviert. Wir werden von den Gefühlen praktisch zum Schwingen gebracht – ganz so, als ob wir alle Saiten einer Violine zum Schwingen bringen, indem wir nur eine Saite leicht zupfen. Wir gehen in Resonanz zu dem Menschen, mit dem wir es gerade zu tun haben. Dabei werden die gleichen Gefühle, die wir beim anderen wahrnehmen, regelrecht auf uns übertragen, egal um welches der Grundgefühle es sich dabei handelt.
Emotionen zu fühlen, zu zeigen und darauf auch bei anderen Menschen eingehen zu können, ist also der Grundstein menschlicher Bindung. Die Spiegelneuronen in unserem Gehirn sorgen dafür, dass wir von Geburt an Gesichtleser sind – so essenziell ist diese Fähigkeit. Hier zeigt Eric Standop eine spannende Übung:

Lesen Sie selbst

Für diese Übung nehmen Sie sich eine Stunde lang Zeit und betrachten Sie sich im Spiegel. "Das ist deshalb eine so interessante Übung, weil wir zunächst in das alt- bekannte Gesicht blicken, das wir morgens vom Zähneputzen kennen", sagt Eric Standop, "Doch nach einigen Minuten fängt unser Gesicht dann an, sich zu verändern: Wir sehen plötzlich Dinge darin, die wir vorher nie wahrgenommen haben. Dadurch lernt man, auch bei anderen genauer hinzusehen."
Besonders herausfordernd ist es übrigens, Mischformen von Gefühlen zu erkennen, die für die intensive Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen wichtig sind. Standop: "Ich empfehle, diese Übung immer wieder zu machen und so an dir selbst die neu erlernten Techniken anzuwenden."