"In Krisen wird das Sucht-Potenzial aktiv"
Die Lebens- und Sozialberaterin Birgit Meerwald über Trigger für Sucht, die in der Kindheit gelegt werden und später aktiv werden können.
Wenn Menschen "gesund" sind – wenn es ihnen also innen und außen gut geht – und sie sich sicher, geborgen, angeregt, am richtigen Platz im Leben und geliebt fühlen, besteht kein Anlass, sich in Schein-Realitäten zu flüchten wie zum Beispiel beim Missbrauch von Substanzen oder schädlichem Verhalten.
Negative Erfahrungen öffnen Sucht-Anfälligkeit

Birgit Meerwald
Gesundheit ist im Sinn der WHO nicht als ein Zustand anzusehen, den es einmal zu erreichen gilt, sondern als täglichen Balanceakt. Besonders in der Phase des Heranwachsens kann es bei Kindern und Jugendlichen zu Überforderungen bei der Lebensbewältigung kommen. "Konflikte mit den Eltern, Versagenserlebnisse in der Schule, mangelhafte soziale Unterstützungssysteme sowie Sinn- und Orientierungskrisen lassen den Gebrauch von Substanzen zur Stabilisierung der Balance verlockend erscheinen", sagt die Lebens- und Sozialberaterin Birgit Meerwald.
Emotionale Kälte, emotionale Instabilität, Unberechenbarkeit, Willkür, Unkontrollierbarkeit, Druck, Gewalt, emotionale Distanz, fehlende Bindung oder Verlusterlebnisse können sind Rahmenbedingungen, die das Suchtpotenzial im Menschen bereits im Kindes- und Jugendalter auch für später stark erhöhen. Im Gegenzug dazu ist alles, was Bindung, Herzenswärme, Stabilität und Freude fördert, die beste Prävention, um ein Leben lang resistent gegen Sucht zu sein: Nicht nur in der Kindheit, auch im Erwachsenenalter!
Corona-Situation löst Hilflosigkeit aus
"In Situationen wie der Corona-Krise können die suchtfördernden Gefühle voll zum Tragen kommen", sagt Birgit Meerwald. Menschen würden sich plötzlich – womöglich wie einst in der Kindheit – in einer Situation der Willkür, der Fremdbestimmtheit, der sozialen Distanz oder Kälte, in finanzieller Instabilität, Unkontrollierbarkeit oder emotionaler Kälte wiederfinden.
"Wenn Menschen plötzlich das das Gefühl von Sicherheit und das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit verlieren, kann dies ihr Suchtpotenzial aktivieren", sagt Meerwald.
Im Zentrum steht der Kontrollverlust und das Gefühl der Hilflosigkeit: "Wenn ein Mensch nicht mehr frei ist in seiner Entscheidung und keinen Einfluss darauf hat, dass sich sein Leben drastisch zum Negativen verändert, kann er dadurch in Angst, Verunsicherung, Panik, Lethargie und Leere verfallen", sagt Meerwald, "All das sind Situationen, die zu Ersatzhandlungen verleiten, die ein vermeintlich besseres Lebensgefühl entstehen lassen. Für eine relativ kurze Zeit ist das Leben dann leichter und gemütlicher."
Unterstützung ist in Krisen wichtig
Was hilft? Gesunde und stabile Beziehungen, das Erfahren von Zuwendung und Liebe sowie Freiheit, Selbstbestimmtheit und Handlungsmöglichkeiten sind Grundpfeiler, um körperlich und seelisch gesund und resistent gegen Sucht und andere sabotierende Verhaltensweisen zu sein. Was in emotionalen Not-Situationen schnell hilft: "Kreativ sein zum Beispiel durch Malen oder Schreiben, sich in der Natur betätigen zum Beispiel durch Pflanzen setzen oder bei einem Waldspaziergang, darüber hinaus Achtsamkeits- und Atemübungen, in Bewegung kommen und sich mit positiven Menschen umgeben", sagt Meerwald. Entscheidend ist: Die Situation verlassen und Gedankenspiralen beenden!
Wichtig sei auch, sich Hilfe zu holen, sagt Meerwald: "Niemand muss durch belastende Erfahrungen und Lebenssituationen alleine durchgehen. Es ist niemals peinlich, um Hilfe zu fragen und sie auch anzunehmen!"
Unterstützung in Krisen finden Sie zum Beispiel auf unter www.gutleben-wko.at oder bei der Krisenhotline der Lebens- und Sozialberater unter Tel. 0820 890101.
Weitere Beiträge zum Thema Sucht beenden lesen Sie im Laufe des Oktobers in der Lust aufs LEBEN Online-Initiative www.lustaufsleben.at/sucht-beenden