Was die Krise jetzt mit unseren Kindern macht

Was die Krise jetzt mit unseren Kindern macht

Experten schlagen Alarm, denn psychische Krankheiten sowie die Suizidgefährdung unter Kindern und Jugendlichen ist erneut gestiegen. Was jetzt notwendig ist.

Psychiatrien sind seit Monaten überfüllt und die Ordinationen der Kinder- und Jugendpsychiater*innen können sich vor Anrufen nicht mehr retten. Auf einen Termin muss man mehrere Wochen warten, was in Akutsituationen psychischer Krisen und Erkrankungen eine Zumutung ist. Suizidversuche haben sich laut AKH Wien im Vergleich zum Vorjahr unter den Jüngsten verdoppelt.

Zu der erneuten Isolation durch den Lockdown kommen angestaute Lernschwierigkeiten durch Defizite, die aufgrund des Homeschoolings bei vielen Kindern entstanden sind, aber auch Frust, Resignation und Einsamkeit. Als zunehmendes Problem zeigt sich die steigende Spaltung der Gesellschaft, die nun mittlerweile auch schon bei den Kindern und Jugendlichen Einzug gehalten hat.

Suizidversuche schon unter den Jüngsten

Psychologin Krista Rothschild

"Besonders für Kinder mit ADHS, Lernschwächen und Kindern, die sich am Autismusspektrum bewegen, hat die Situation die Belastungsgrenze überschritten", sagt Mag. Krista Rothschild, Klinische Psychologin (Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie) in Wien. Sie selbst habe noch nie so viele Notfälle erlebt wie im September des Jahres, als die Schule wieder angefangen hat. Neben den massiven Belastungen für Kinder und Jugendliche mit ADHS haben auch Depressionen und Angststörungen aber auch Essstörungen bei Jugendlichen stark zugenommen bzw. neue Eskalationsstufen erreicht. Das jüngste Kind, das einen Suizidversuch unternommen hatte, war gerade einmal zehn Jahre alt.
Dazu kommt, dass auch viele Eltern selbst sehr belastet sind und mit den vielen Anforderungen überfordert sind. Bei Kindern und Jugendlichen sei zunehmend Lethargie und Resignation und eine grundlegende Hoffnungslosigkeit zu beobachten. "Viele Kinder reagieren aber auch gereizt und aggressiv, wenn sie an Depressionen leiden", sagt Krista Rothschild, "Die Symptome müssen also nicht immer nur Traurigkeit sein."

Normalität zuhause schaffen

Was können wir jetzt im eigenen Wirkungskreis tun, damit es den Kindern und Jugendlichen besser geht? Entscheidend ist nun, ein weites Stück Normalität zuhause zu schaffen: Andere Themen als Corona suchen, den Medienkonsum mit "Bad News" auf das Nötigste beschränken. "Nützen Sie die Gelegenheiten, mit den Kindern ins Freie zu gehen, denn vor allem Licht und frische Luft wirken sich positiv auf die Psyche und das Wohlbefinden aus", sagt Krista Rothschild.

Gerade Rituale wie Weihnachten oder auch die Vorweihnachtszeit können ein wichtiger Anker für die Zuversicht und das Gefühl des Zusammenhalts sein. "Alles, was die Sinne anspricht, kann jetzt wohltuend und beruhigend sein", sagt Krista Rothschild, "Beispielsweise Kerzen zuhause anzünden, Weihnachtsbeleuchtung anbringen, Kekse backen oder Kinderpunsch zuhause trinken."
Auch Quality-Time zuhause zu verbringen kann jetzt Balsam für die Kinderseelen sein: "Besprechen Sie gemeinsam, was Ihnen zusammen Freude bereiten würde", sagt Krista Rothschild, "Vielleicht ist es ein Filmeabend mit Popcorn, gemeinsam ein Puzzle spielen oder kreative Weihnachtsgeschenke zu basteln und zu gestalten."

Über Gefühle sprechen

Auch der Umgang in der Familie mit Gefühlen und Bedürfnissen kann jetzt Entlastung bringen. Es ist ein Irrtum, dass Eltern jetzt immer stark sein und ständig gute Laune vortäuschen müssten. Gesünder sei nun Offenheit und Authentizität. "Wichtig ist jetzt, in der Familie über Gefühle zu sprechen und zu erlauben, dass alle Gefühle da sein dürfen", sagt Krista Rothschild. Als Eltern bedeute das freilich keinesfalls, die eigenen Sorgen und Probleme an den Kindern abzuladen, aber selbst angemessen natürlich mit dem eigenen Befinden umzugehen. "Denn wenn es den Eltern nicht gut geht, merken das die Kinder ohnehin", sagt Rothschild. Ein offener und transparenter Umgang mit Gefühlen stärkt das Vertrauen und überwindet gefühlte Isolation und Einsamkeit. "Fragen Sie Ihre Kinder immer wieder, wie es ihnen wirklich geht", sagt Krista Rothschild, "Bei Jugendlichen ist das meistens etwas schwieriger, aber zeigen Sie trotzdem Interesse und Präsenz. Auch und gerade dann, wenn die Türen den ganzen Tag verschlossen sind", sagt Krista Rothschild.

Schließlich entsteht der eigentliche emotionale Schmerz der Einsamkeit durch das Gefühl der inneren Isolation und Abgeschiedenheit: Wenn niemand da ist, dem Kinder und Jugendliche sich in ihrer Not anvertrauen können, kann das zur Abschottung führen. Empathie sowie das Gehört- und Gesehen-Werden schafft Raum für Verbundenheit und Liebe. Und das ist, was heranwachsenden Menschen jetzt Geborgenheit und Sicherheit gibt.

Umfassende psychologische Unterstützung als Ressource notwendig

Auch in anderen Bereichen, über die Familie hinaus, sei alles heilsam, was Zusammenhalt stärke und der Spaltung und Isolation entgegenwirkt. "Auch Lehrer sind jetzt häufig überfordert, da sie ja nicht nur mit den aktuellen Herausforderungen in den Schulen umgehen müssen, sondern häufig auch eigene Kinder und Familien zuhause haben, um die sie sich sorgen müssen", so Rothschild. Für viele Herausforderungen, die die Krise aktuell mit sich bringt – beispielsweise dem Umgang mit psychischen Erkrankungen bei Kindern – sind Lehrer in der Regel nicht ausgebildet bzw. fehlen ihnen einfach die Kapazitäten.

Nicht nur hilfreich, sondern notwendig, wäre jetzt, psychologische und psychosoziale Berater*innen, wie sie etwa von Klinischen Psycholog*nnen sowie Lebens- und Sozialberater*innen angeboten wird, vermehrt in die Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen einzubinden – und das sowohl für die einzelnen, die jetzt dringend Unterstützung brauchen, als auch auf politischer und institutioneller Ebene. "Es ist leider eine Tatsache, dass auch die psychologische Beratung noch immer keine Kassenleistung ist", sagt Krista Rothschild. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf: Denn sowohl präventiv als auch in Akutsituationen kann rasche Hilfe alles sein.

Hilfe während Corona: www.boep.at und auch www.psychologie.at
Für Kinder und Jugendliche kostenlos und anonym: Rat auf Draht Tel: 147, www.rataufdraht.at