5 Wege, um Wut als Kraft zu leben

5 Wege, um Wut als Kraft zu leben

Wut ist ein Gefühl, das vor allem Frauen sich oft nicht erlauben. Warum Wut so wichtig ist und wie sie uns hilft: Ein Plädoyer für die Wut.

In den vergangenen zwei Jahren – seit der Pandemie – hat Wut eine besondere Relevanz. Durch den Krieg und die damit verbundenen Auswirkungen auch auf uns spüren wir auch immer mehr Gefühle wie Hilflosigkeit, Überforderung, Trauer und auch Wut.
Vor allem für Frauen ist es gar nicht selbstverständlich, dieses tabuisierte Gefühl zu empfinden und zu leben, weil sie in Bezug auf das Fühlen und Ausdrücken von Wut meist anders sozialisiert worden sind. In ihrem Buch „Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen“ beschreibt die Psychologie-Professorin an der University of Texas, Kristin Neff, wie wichtig es für unsere körperliche und seelische Gesundheit ist, mit sich und den eigenen Gefühlen in Kontakt zu sein - und damit auch mit der Wut.

Frauen spüren Wut oft nicht

Autorin und Psychologin Kristin Neff


An der University of Tennessee wurde schon in den 1990er-Jahren eine wegweisende Studie über die Wut von Frauen durchgeführt: Für die Studie wurden 535 Frauen im offenen Frageformat die Gelegenheit gegeben, über ihre Erfahrungen mit Wut zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass viele Teilnehmerinnen mit ihrer Wut überhaupt nicht in Kontakt waren oder sich zutiefst unwohl mit ihr fühlten. Durch diese starke Verdrängung des häufig unerwünschten Gefühls würden Frauen es oft nicht einmal merken, wenn sie wütend seien.
„Es ist paradox, dass das unglaublich kraftvolle Gefühl der Wut bei uns Frauen ausgerechnet Ohnmachtsgefühle auslöst, nur weil man uns nicht gestattet, die Wut als Teil unseres Selbst anzuerkennen", schreibt Neff in ihrem Buch, "Stattdessen fühlt es sich so an, als hätte eine fremde Macht Besitz von uns ergriffen – hinterher sagen wir dann: 'Ich habe die Kontrolle verloren' oder 'Ich war nicht mehr ich selbst.' Das liegt daran, dass wir Frauen gelernt haben, unsere Wut zu verleugnen und sie als fremd zu betrachten“, so Neff. Wütende Frauen würden schnell als verrückt gelten – als irrational und verwirrt.

Unterdrückte Wut macht depressiv

Die Unterdrückung von weiblicher Wut trägt auch dazu bei, asymmetrische Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. "Die gleiche Wut, die in den Augen der meisten Menschen die Macht eines Mannes vergrößert, indem sie das uralte Klischee männlicher Stärke und männlichen Selbstvertrauens bedient, verkleinert die Macht einer Frau“, schreibt Neff. Und weil man uns Frauen tendenziell verbietet, ihre Wut nach außen hin auf die gleiche Weise zu zeigen wie Männer, würden sie oft dazu neigen, sie in Form von Selbstkritik nach innen zu richten. „Diese verinnerlichte Wut ist ein Grund dafür, warum die Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden, bei Frauen doppelt so hoch ist wie bei Männern“, schreibt Neff.

Konstruktive Wut macht stark

Entscheidend ist, das Gefühl von Wut anzuerkennen, zuzulassen und zu fühlen und sie konstruktiv zu nützen. „Im Gegensatz zu destruktiver Wut ist konstruktive Wut der Anfangspunkt eines Prozesses, in dem eine Person für sich selbst einsteht und ihre Rechte einklagt, ohne feindselig oder aggressiv zu werden“. so Kristin Neff.
Konstruktive Wut legt den Fokus auf das, was falsch gemacht wurde, aber nicht, um den Übeltäter anzugreifen, sondern um zu verstehen, welche Bedingungen zu dem Desaster geführt haben. "Konstruktive Wut denkt darüber nach, welche Auswirkungen sie auf andere hat. Indem sie darauf abzielt, Leid zu reduzieren, verzichtet sie darauf, die Probleme zu übertreiben, sondern versucht stattdessen, sie zu entwirren. Konstruktive Wut ist der Ausgangspunkt von Aktionen, die darauf abzielen, Ungerechtigkeit zu verhindern und Nein zu sagen“, sagt Katrin Neff.

Wie wir Wut für uns nützen

Die gesellschaftlichen Normen, die Wut tabuisieren, schaden nicht nur unserer seelischen Gesundheit, sondern verstellen uns auch den Zugang zu einer wichtigen, kraftvollen Ressource. So kann Wut auf mindestens fünf verschiedene Weisen ein hilfreiches Gefühl sein, das uns ermöglicht, Klarheit zu finden, für uns einzustehen und Ziele zu erreichen:

1. Wut aktiviert

„Wenn wir wütend sind, ist unser Rücken gerade, und wir können spüren, wie die Energie in unseren Adern pulsiert. "Diese Energie motiviert uns zum Handeln und vertreibt Trägheit und Bequemlichkeit. Von ihr bekommen wir den Schub, den wir brauchen, um uns gegen Rechtsverletzungen oder Ungerechtigkeiten zu wehren“, so Neff.

2. Wut fokussiert

„Wut fokussiert uns mit großer Intensität auf das, was uns Schaden zufügen könnte. Sie ist wie ein Laserstrahl, der die aktuelle Gefahr präzise lokalisiert.", so Neff. Das kann zwar auch lähmend wirken, wenn es die Form von ängstlichen Grübeleien annimmt, aber das Vermögen der Wut, ein Problem zu beleuchten, das dringend Aufmerksamkeit benötigt, ist etwas ganz Besonderes. Immer wenn es bitter nötig ist, sorgt Wut dafür, dass plötzlich alles glasklar ist.

3. Wut schützt

„Wut ist ein wichtiges Mittel der Selbstverteidigung und des Selbstschutzes. Sie hilft uns, die instinktive Angstreaktion zu überwinden und uns gegen die zu wehren, die uns verletzen oder unfair behandeln. Manchmal müssen wir wütend werden, um den Mut zu haben, uns mit Drohungen und Respektlosigkeit auseinanderzusetzen. Ohne diese Wut wäre die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir für uns selbst einstehen. Weil Wut uns Energie und Konzentration gibt, ist sie das ideale Rüstzeug für Aktionen, die dem Selbstschutz dienen.“

4. Wut schützt

Ein ebenfalls nützlicher Aspekt der Wut ist ihre klare kommunikative Funktion. "Sie warnt uns, wenn etwas falsch läuft, und lässt auch andere Menschen wissen, dass wir darüber nicht glücklich sind", sagt Neff, "Wenn uns die subtile und abfällige Bemerkung eines Kollegen über unsere Arbeitsleistung nicht wütend machen würde, würden wir vielleicht nicht einmal merken, wie unpassend und verletzend sein Kommentar gewesen ist." Während Schreien und Brüllen keinem nützlichen kommunikativen Zweck dient, weil es das Gegenüber lediglich zum Schweigen bringt, kann Wut, wenn sie als klares Urteil ausgedrückt wird unser Gegenüber dazu bringen, uns mehr Aufmerksamkeit zu schenken, und zwar sowohl für den Moment als auch in näherer Zukunft.

5. Wut ermächtigt

„Wut sorgt für ein Gefühl von Kontrolle und Ermächtigung. Wenn wir wütend sind und uns dafür einsetzen, dass sich etwas zum Guten ändert, hören wir auf, Opfer zu sein. Aber selbst dann, wenn unsere Situation nicht zu ändern ist, bewahrt Wut uns davor, unter einem Berg von Angst und Scham zusammenzubrechen. Wir werden zu Überlebenskünstlern. Wut erinnert uns daran, dass es auch unsere eigene Entscheidung ist, wie wir leben wollen.“

Und da entscheiden wir uns doch immer für das Leben in der eigenen Kraft!

Buchempfehlung:

"Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen – Klar für sich einstehen, engagiert handeln und Erfüllung finden", Kristin Neff, Kailash Verlag, € 23,00
Es genügt nicht, sich selbst eine gute Freundin zu sein. Es erfordert Mut, aufzubegehren, Nein zu sagen, um sich vor Ungerechtigkeit und Verletzungen zu schützen und den eigenen Bedürfnissen mehr Raum zu geben. Kristin Neff erforscht, wie Frauen eine gesunde Balance finden können zwischen empathischer Fürsorge und selbstbestimmter Durchsetzungskraft, um sich authentisch in Beziehungen, im Job und in der Gesellschaft zu verwirklichen.